Pfalzer - Ausstellung, School of Listening Differently

School of Listening

Angelehnt an Oskar Kokoschkas 1953 gegründete Schule des Sehens ist School of Listening (Schule des Hörens) das Public Programme, das speziell für die Internationale Sommerakademie für bildende Kunst Salzburg entwickelt wurde. In Medien wie Performance, Musik, Radio oder Film heben die Veranstaltungen und Ausstellungen die Rolle der menschlichen Stimme hervor und laden zu einem anderen Zuzuhören ein. Es soll untersucht werden, inwiefern das Zuhören imstande ist, Konfliktualität zu verkörpern, zum Schweigen gebrachte Erzählungen zu verstärken und vereinfachende Sichtweisen auf die Identität in Frage zu stellen.

Das Programm ist ein Angebot, in einem performativen und partizipatorischen Rahmen zusammenzukommen und die unsichtbaren Grenzen zu hinterfragen, die sich zwischen uns abzeichnen und uns definieren. Es ist eine Plattform, bei der es um Teilnahme geht, aber auch um Verweigerung, um Sprechen, Zuhören und Schweigen – um zu kollaborieren oder gemeinsam Widerstand zu leisten, um vorübergehend inhomogene, disharmonische Gemeinschaften mit möglichem Dissens zu (de)konstruieren und zu erproben, um gemeinsam eine Form zur Verhandlung von Unterschieden zu finden.

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Was geschieht, wenn aus einer „Schule des Sehens“ eine „Schule des Hörens“ wird? Viele Theoretiker sprechen von der Einzigartigkeit des Reichs der Stimme im Unterschied zu dem des Blicks. Richard Coyne bezieht sich auf Marshall McLuhans Theorie über die Natur der Stimme, in der es heißt, dass die Geschichte des Hörens aus der alten Zeit eines unbewussten Gemeinschaftsethos stamme, während die neuere visuelle Geschichte des „Sehens“ seit der Erfindung der Schrift und der visuellen Technologien mit Objektivierung und Unterscheidung zu tun habe.

Steven Connor schreibt, die Stimme sei weniger greifbar als der Blick, denn sie könne von überallher kommen und die Wahrnehmung einer absoluten Wahrheit untergraben oder auch die Grenze zwischen dem Bewusstsein vom eigenen Ich und der Welt verwischen. Während das Sehen den Raum kontrolliere, lasse das Hören den Raum entstehen.

Slavoj Žižek und Mladen Dolar untersuchen die Macht der Stimme und des Blicks und wie diese zu Zwecken der Kontrolle und der Verführung eingesetzt werden. Dabei berücksichtigen sie Lacans Konzept des objet petit a – die Leere, die durch das unerfüllte Verlangen nach dem anderen entsteht. Žižek veranschaulicht, dass sich die Beziehung zwischen der Stimme und dem Blick durch eine unüberbrückbare Leerstelle auszeichnet: Die Stimme deutet auf das hin, was sich unserem Blick entzieht – wir hören Dinge, weil wir nicht alles sehen können.

Donna Haraway rechnet das Auge dem Blick von oben zu: Gott, Satellit oder auch Überwachungskamera. Es steht für sie in Verbindung mit Kontrolle und mit einer patriarchalischen Sichtweise von der Wissenschaft als etwas Absolutem. Die Stimme sieht Haraway als etwas, womit man sich Gehör verschafft – sei es durch Schreiben oder mündliches Zeugnis. Ihr zufolge wissen feministische Stimmen, dass die Wahrheit aus vielen Wahrheiten besteht, die mit subjektiven und verkörperten Erfahrungen verbunden sind.

Gegenwärtig weiten rapide technologische Entwicklungen und Überwachungsmethoden unter Verwendung von KI die Dominanz des Auges über das Ohr immer stärker aus. Wir werden mit horrenden Bildern überflutet, doch die Algorithmen zeigen uns nur das, wovon sie „denken“, dass wir es sehen wollen; es entsteht so etwas wie eine grenzenlose narzisstische Echokammer. Die Entmenschlichung von Stimmen und Körpern, die nicht der ultranationalistischen Mainstream-Agenda entsprechen, wird durch die Herrschaft des Bildes beschleunigt und durch das Mundtot-Machen der Stimme noch verstärkt.

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Das Public Programme der School of Listening findet zeitgleich und in Verbindung mit zwei Ausstellungen statt: Unter dem Titel School of Listening: (Im)possible Conversations zeigen Ofri Cnaani, Thalia Hoffman, Stav Marin, Samira Saraya und Neta Weiner sowie Manar Zuabi eine Auswahl ihrer Werke im Museum der Moderne Salzburg, Altstadt (Rupertinum) im Dialog mit Werken aus der Sammlung Generali Foundation und beteiligen sich an einer Reihe von Performances.

School of Listening: (Im)possible Conversations erörtert die konfliktreichen Auseinandersetzungen, die Beziehungen ausmachen, sobald man versucht, über die dichotomen Wahrnehmungsweisen der Identitätspolitik hinauszugehen. Die gezeigten Werke verdeutlichen die Komplexität antagonistischer Dialoge und schwieriger Kooperationen, bei denen die Sprache zu einer Art Waffe werden kann, gleichzeitig aber auch zu einem Mittel, um die Grenzen zwischen den Beteiligten durch empathische Anerkennung aufzuweichen.
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Eine zweite Ausstellung und eine Reihe von Live-Events ereignen sich unter dem Titel School of Listening Differently im Zwergelgartenpavillon. Hier beteiligen sich Ari Benjamin Meyers, Brandon LaBelle, Sunny Pfalzer und Netta Weiser. Zu den Angeboten gehören eine Klanginstallation, die eine Choreografie hörbar werden lässt, ein Video, bei dem man Zeichensprache hören kann, ein Videotanz über die Identitätsschwierigkeiten eines metaphorischen Teenagers und eine Einladung zum gemeinsamen Singen.

School of Listening Differently ist eine Inszenierung von performativen Diskussionen und diskursiven Performances, die die zweifachen Potenziale der Stimme und des Körpers einbeziehen: die Möglichkeit regiert und kontrolliert zu werden, aber auch Regierungsformen zu unterlaufen, zu untergraben. Verflochten mit dem Persönlichen und dem Kollektiven sowie mit künstlerischen, aktivistischen und akademischen Aspekten verkörpert diese Schule des anderen Hörens eine fragile und differenzierte Kollektivität, bei der das Zuhören zu einer Form des Widerstands gegen Unterdrückung werden kann.
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In der gegenwärtigen Zeit politischer Unruhen scheinen Gewalt, Angst und Schweigen den Diskurs zu beherrschen, und Identitätspositionen werden in der Regel als ein geschlossener und absoluter Standpunkt wahrgenommen, der in Opposition zu anderen inszeniert wird. School of Listening möchte einen Raum für herausfordernde und komplexe Gespräche schaffen, in denen ungleiche Machtverhältnisse herausgestrichen und zum Schweigen gebrachte Narrative wieder verstärkt hörbar gemacht werden. Gleichzeitig wird zu einer potenziellen Subversion hegemonialer Machtkämpfe eingeladen, bei der Konfliktualität als ein Mittel zur Transformation zu verstehen ist. So ist das Programm eine Einladung, Teil einer vorübergehenden Gemeinschaft zu werden, in der es vielmehr um „Widerstand miteinander“ als um ein „Nebeneinander“ geht – Widerstand gegen Gewalt, gegen Entmenschlichung und Schweigen und eine Plattform zur gemeinsamen Entwicklung neuer empathischer Formen des Zuhörens.

Kuratiert von Sophie Goltz und Maayan Sheleff

Bibliographie:
Connor, Steven. Dumbstruck, a Cultural History of Ventriloquism. New York: Oxford University Press, 2000.
Coyne, Richard. „Voice and Space: Agency of the Acousmêtre in Spatial Design“. Exploration of Space, Technology, and Spatiality: Interdisciplinary Perspectives, Hrsg. Phil Turner, Susan Turner and Elisabeth Davenport (Napier University, UK), 102–112. New York: Information Science Reference, IGI Global, 2009.
Dolar, Mladen. „The Object Voice.“ Gaze and Voice as Love Objects (Series: SIC 1), Hrsg. Renata Salecl und Slavoj Žižek, 7–31. Duke University Press, Durham und London, 1996.
Haraway, Donna. „Situated Knowledges: The Science Question in Feminism and the Privilege of Partial Perspective.“ Feminist Studies, Bd. 14, Nr. 3 (Herbst, 1988): 575–599.
Žižek, Slavoj. „I Hear You With My Eyes; or, The Invisible Master.“ Gaze and Voice as Love Objects (Series: SIC 1), Hrsg. Renata Salecl und Slavoj Žižek, 90–126. Durham und London: Duke University Press, 1996.

Maayan Sheleff

Dr. Maayan Sheleff schloss vor kurzem ihre Dissertation im Bereich der Kuration an der University of Reading (UK) und der ZHdK (CH) ab. Ihr auf der Dissertation aufbauendes Buch mit dem Titel Echoing with a Difference – Curating Voices and the Politics of Participation ist jüngst bei OnCurating erschienen. Mit der weltweiten, 2011 einsetzenden Protestwelle als seinem Ausgangspunkt bespricht das Buch kritisch die Auswirkungen dieser Proteste auf partizipatorische künstlerische und kuratorische Praktiken sowie die ambivalenten Manifestationen dieser Auswirkungen in kollektiven stimmlichen Äußerungen.

Zu Sheleffs bisherigen Arbeit als Kuratorin zählen Projekte am KW Institute for Contemporary Art, Berlin; Bonnefanten Museum, Maastricht (NL); Reading International, Reading (UK); Tokyo Metropolitan Museum of Photography, Tokyo; Madre Museum, Neapel (IT). Veröffentlicht hat sie unter anderem (Un)Commoning Voices and (Non)Communcal Bodies(Mitherausgeberin: Sarah Spies, OnCurating, 2021), “Fear and Love in Graz”, in Empty Stages, Crowded Flats. Performativity as Curatorial Strategy, Performing Urgency #4, Hrsg. Florian Malzacher und Joanna Warsza (Berlin: House on Fire, Alexander Verlag und Live Art Development Agency, 2017) sowie “The Infiltrators - Crossing Borders with Participatory Art”, in Refugees and Cultural Education – Formats and strategies for a new field of practice, Hrsg.Caroline Gritschke und Maren Ziese (transcript, Deutschland, 2016).